- Medizinnobelpreis 1997: Stanley Ben Prusiner
- Medizinnobelpreis 1997: Stanley Ben PrusinerDer amerikanische Neurologe erhielt den Nobelpreis für seine Entdeckung der Prionen als neuer Klasse von Krankheitserregern.Stanley Ben Prusiner, * Des Moines (Iowa) 28. 5. 1942; 1968 Promotion an der Pennsylvania University, Philadelphia, 1972-74 als Assistenzarzt an der University of California, San Francisco, dort 1974-80 Professor für Neurologie, 1976-88 Dozent an der Fakultät für Biochemie, seit 1988 dort Professor für Biochemie; 1992 endgültiger Nachweis des Prioneneiweiß im Nervengewebe.Würdigung der preisgekrönten LeistungNur selten betreffen die Nobelpreise so unmittelbar die Öffentlichkeit. Die »Prionen«, von denen im Titel der Preisverleihungsurkunde die Rede ist, hängen mit dieser merkwürdigen Krankheit zusammen, die am Ende der 1980er-Jahre in großer Zahl die britischen Rinder befallen hat: dem »Rinderwahnsinn«. Prusiners Arbeiten haben nicht nur einen theoretischen Rahmen für das Verständnis dieser Krankheit geschaffen und dazu neue Techniken der Aufreinigung und Titrierung bereitgestellt, sie haben auch Anlass gegeben, die Grundorientierungen der Molekularbiologie am Ende des 20. Jahrhunderts infrage zu stellen.Im April 1985 wurde in Großbritannien ein erster Fall von boviner spongiformer Enzephalopathie (BSE) gemeldet. Spongiform deshalb, weil das Hirngewebe, das bei der Autopsie sehr große Hohlräume aufweist, an die Struktur eines Schwamms erinnert. Zu den klinischen Charakteristika der Krankheit gehören Koordinations- und Geistesstörungen. Bereits 1883 hatte Sarradet, ein französischer Veterinär, einen ähnlichen Fall von »Rinderzittern« beschrieben und mit ähnlichen Symptomen einer bekannten Schafserkrankung, der Scrapie, in Zusammenhang gebracht. Die Neuheit bestand 1985 im Ausmaß der betroffenen Rinderpopulation: Innerhalb von 15 Jahren wurden 185 000 Fälle gezählt. Zudem verkündete der britische Gesundheitsminister am 20. März 1996 offiziell vor dem Unterhaus, dass der so genannte Rinderwahnsinn als neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit auf den Menschen übertragbar sei. Panikstimmung zog auf in Europa.Die Protein-HypotheseSeit den 1970er-Jahren interessierten sich klinische Forscher und Biologen für Scrapie oder andere so genannte »slow virus infections«, wenngleich kein Virus nachgewiesen werden konnte. Stanley Prusiner war einer von ihnen. Er war 1972 durch den Tod eines an der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit erkrankten Patienten aufgeschreckt worden. Die Arbeiten des Mediziners Daniel Carleton Gajdusek (Nobelpreis 1976) hatten die Übertragbarkeit dieser Art von degenerativen Erkrankungen des Zentralnervensystems zwischen verschiedenen Arten nachgewiesen, die Natur der dafür verantwortlichen Erreger blieb jedoch unbekannt. Prusiner erinnert sich: »Je mehr ich über die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit und offenbar ähnliche Krankheiten las — Kuru bei den Fore in Neuguinea und Scrapie beim Schaf —, umso mehr fesselte mich das Thema.«Es war 1982, als Prusiner die Hypothese aufstellte, nach der allein ein Protein für die Übertragung verantwortlich sein könne. Seine Studie war in theoretischer Hinsicht nicht sehr innovativ, denn schon die englische Strahlenbiologin Tikvah Alper hatte seit 1966 die Anwesenheit von Nucleinsäuren im Scrapie-Erreger angezweifelt. Sie hatte gezeigt, dass der Krankheitserreger viel kleiner als der kleinste der bekannten Viren sein müsse, zu klein, um DNS (Desoxyribonucleinsäure; auch DNA, das A steht für das englische »Acid« für Säure) oder RNS (Ribonucleinsäure; auch RNA) enthalten zu können. Der Londoner Mathematikprofesseor Griffith hatte seit Mitte der 1960er-Jahre gemutmaßt — ausgehend vom Prinzip, ein Protein könne nur dann funktional sein, wenn es eine spezifische dreidimensionale Form habe —, ein schlecht gefaltetes Protein könne seine Nachbarn dazu bewegen, es ihm gleich zu tun.Im experimentellen Bereich war es Prusiner nun gelungen, Hirngewebsproben von Hamstern aufzureinigen, die vom Scrapie-Erreger infiziert waren. Er hatte beobachtet, dass der Erreger erstaunliche Eigenschaften aufwies: Er widerstand ultravioletter Bestrahlung, der Ribonuclease und der Desoxyribonuclease (die normalerweise die entsprechenden Säuren zerstört) besser als dem Harnstoff (der die Eigenschaft besitzt, Proteine zu denaturieren). Prusiner führte den Begriff »Prion« ein, um ein »proteinaceous infectious particle« zu bezeichnen. So bestand er auf dem Umstand, dass ein Protein allein krankheitsauslösend sein könne.Weiterhin sollte Prusiner mit seinem Aufsatz von 1982 zu weiteren Forschungen über die Struktur der Proteine und insbesondere des Prions anregen. Gemeinsam mit dem Schweizer Forscher Charles Weissmann hatte Prusiner das Gen geklont, welches das Prionprotein (PrP) codiert. Man hatte dabei beobachtet, dass das Prion vom Genom des Wirts codiert wurde und damit ein normaler Bestandteil der Zelle war. Prusiner formulierte die Hypothese, nach der das Protein in zwei stabilen dreidimensionalen Strukturen existieren könne. Die erste sei eine krankheitserregende Form (PrPsc) und in der Lage, Scrapie oder analoge Erkrankungen hervorzurufen, indem sich die Proteine zusammenballen und sich die Deformation verbreite wie beim Fall von Dominosteinen. Die zweite Struktur sei eine PrPc-Form (cellular) und in gesunden Organismen vorhanden, wo sie vermutlich eine Präzisionssteuerung auf dem Niveau der Nervenfortsätze gewährleiste.Bei der Preisverleihung von seinen Arbeiten berichtend, spottete Prusiner, die Presse habe sich deshalb für seine Arbeiten interessiert, weil er nicht »die heißgeliebte Nucleinsäure« gefunden habe, von der alle Welt überzeugt sei, dass sie vorhanden sein müsse. Damit stellte er seine Arbeiten selbst als »eindeutig ketzerisch« dar.Als Preisträger nicht unumstrittenZahlreiche Forscher waren erstaunt, dass Prusiner allein den Nobelpreis erhielt. Die Persönlichkeit Prusiners war nicht unumstritten, auch war wohl die aktuelle Brisanz der BSE-Thematik ausschlaggebend. Seine Arbeiten haben aber jedenfalls das Verdienst, Untersuchungen an Proteinen, die von der Forschung zuvor jahrzehntelang stiefmütterlich behandelt worden waren, wieder angeregt zu haben. Und auch die Tatsache, dass zahlreiche Krankheiten wie die Alzheimerkranheit von »schlecht gefalteten« Proteinen des Prion-Typs gegekennzeichnet zu sein scheinen, spricht für die große Bedeutung von Prusiners Arbeit, auch wenn noch längst nicht alle Fragen im Zusammenhang damit beantwortet sind. Von großem Interesse ist vor allem, inwieweit sich die Größenordnung zwischen Eintritt des Krankheitserregers und Ausbruch der ersten Krankheitssymptome (Inkubationszeit) von den entsprechend gemessenen Zeiten der Physikochemiker für dreidimensionale Strukturveränderungen unterscheidet.J. Segal
Universal-Lexikon. 2012.